Lionel Mathis & Zoé Schwyzer
20,95%

2022 | EDHEA | ACT 20th

Text von Pascale Grau:

Der kleine Kunstraum in der Innenstadt von Biel besteht aus zwei Wänden und zwei Schaufenstern. Der Boden ist mit vielen Metern schwarzem Stromkabel ausgelegt, dabei ist nur ein Scheinwerfer damit verkabelt. In der Mitte des Raumes, zwischen den Kabeln, stehen Küchenutensilien: eine Schüssel, ein Krug, verschiedene Teller, Eier Kräuter, Zitrone. Eine junge Frau in Arbeiter*innenkluft kommt herein, steckt den Scheinwerfer aus und beginnt die Kabel sorgfältig aufzurollen. Limelihghts off, Show is over? Jetzt aber tritt ein Jüngling auf, mit einer Schürze und Socken bekleidet. Er kniet auf dem Boden und schlägt vorsichtig mehrere Eier in die Schüssel, trennt Eiweiss von Eigelb, fügt Zitrone, Senf, Öl und etwas Salz hinzu und schnippelt Schnittlauch hinein. Schon weiss ich – das gibt Mayonnaise. Hingebungsvoll lässt er den Schwingbesen kreisen. Als er aufsteht, sehe ich, dass er unter der Schürze nackt ist. Als er sein Tun intensiviert, sein Kreisen und Schlagen heftiger wird und er zu lachen beginnt, wackeln seine Pobacken. Die Kabelträgerin hat Halbzeit, auch sie hat einen hingebungsvollen Arbeitsstil, aber sie ist schon fast fertig, als er sich an die Wand lehnt und wie verrückt auf die Mayonnaise einschlägt dazu überbordend lacht. Er rutscht an der Wand herunter und verspritzt in einem orgiastischen Ausbruch Mayonnaise auf den Boden und über seine Schürze. Während er den Schwingbesen ableckt, geht die Kabelfrau aus dem Raum. Da wurde offenbar soeben ein zweifacher Rollenwechsel vollzogen - handelt es sich hierbei aber um eine geplante Demontage dieser Rollen, oder hat es sich durch das Zusammenfügen zweier einzelner Ideen so ergeben: Sie arbeitet hart, während er sich einen runterholt.

Text von Barbara Becker:

Die Performance 20.95% von Lionel Mathis & Zoé Schwyzer, - ups! den Titel der Performance entdecke ich erst jetzt! Von 20.95% haben mir die anderen Schreibenden nichts erzählt. 20.95% sagt mir nichts, ohne zu recherchieren. 20.95% sagt mir nichts, ohne ein klärendes Gespräch zu suchen, was mich aufhalten und vom Schreiben abhalten würde! 20.95% kann ich nicht zuordnen, weder mit dem Kommentar von dem befreundeten Künstler, noch mit den blumigen Beschreibungen der anderen Schreibenden. Mit der Kurzrecherche über google finde ich: Der Partialdruck des eingeatmeten Sauerstoffs in der Raumluft beträgt 20,95 %! - „Lionel! Zoé! hat mir google gesagt, was ihr uns sagen wollt!? Was wollt ihr uns mit 20.95% sagen!?“ - Ich komme hier nicht weiter und lasse die 20.95% stehen, um mich den restlichen 79.5% der Performance von Lionel Mathis & Zoé Schwyzer zu widmen. Die Performance, die über Hören, Sagen mein Interesse geweckt hat. Eher entsetzt wie fasziniert äussert sich der befreundete Künstler über die Performance: „Ist es jetzt in der Kunst auch so, - die grossen, faszinierenden, machthabenden Männer und die unsichtbaren, fleissig arbeitenden Frauen!!? Geht es darum die Welt zu spiegeln. Wir sinken immer tiefer. Auch die Diskussion, Künstler unbezahlt zu engagieren, ist und bleibt haltlos.“ - JA. Sicher. Ich weiss mit Gewissheit, der Künstlerlohn ist ein Hungerlohn. Aber die Diskussion vom brotlosen Künstler ist alles andere wie neu, sowie die Tatsache, dass Frauen ihren Fleiss selbstverständlich und oft unsichtbar tragen und Männer gerne Aufmerksamkeit suchen. Der befreundete Künstler berichtete von zwei Handlungsverläufen der Performance, die er nicht vereinen konnte. Er fand es sinnlos die Handlung von dem Mann und die Handlung der Frau nebeneinander zu sehen. Und doch hat es ihn sichtlich erregt. Anders erregt hat die Performance, die schreibenden Frauen. Aus dem Gespräch mit dem befreundeter Künstler ergab sich für mich die Vorstellung, dass der Mann ein eher grober, korpulenter Jüngling ist. Die Frau nicht nur unsichtbar, sondern auch unattraktiv. Die schreibenden Frauen, die auch Performance Künstlerinnen sind, haben mich aufgeklärt! Ihre Beschreibungen fanden mit meinen ersten Vorstellungen wenig Übereinstimmung. Und als die Frauen mir die zwei jungen Performer/innen zeigten, rollte sich die ganze Performance für mich neu auf. Leider zeigten sie mir Lionel Mathis & Zoé Schwyzer nur, ohne die beiden zu stören. Ich hätte Lionel und Zoé gerne kennengelernt! Neben dem, dass die beiden durchaus attraktiv und interessant aussahen, hätte ich sie gerne ausgefragt! Ich erinnere mich an folgende Erzählung: Ein fast nackter junger Mann, nur bekleidet mit einer Schürze, rührt Eier in einer Schüssel zu Mayonnaise, er rührt immer stärker. Das Rühren und stärker werdende Rühren wird als seine Erregung gelesen. Die Frau rollt durch den ganzen Raum Kabel auf. Ich komme hier nicht weiter. Schlussendlich wäre es interessant gewesen, die Performance zu sehen. Ich frage mich, woher die Erregung von dem Mann kam und ob er tatsächlich erregt war. Ich frage mich, warum ein nackter Mann provoziert und frage mich, ob die Performance meine Fragen beantwortet hätte. Um weiter zu schreiben habe ich mich ausgezogen. Erregung ist das Nacktsein in meinem Fall nicht, das Ei ist auf den Boden gerollt und gebrochen, eine attraktive fleissige Frau fehlt in meinem Hotelzimmer. Und natürlich habe ich auch keine Zuschauer/innen! In meinem Fall, habe ich mich ausgezogen, um aus den spekulativen Zeilen über die Performance von Lionel Mathis & Zoé Schwyzer auszusteigen. Sozusagen um mich und meine Gedanken zu lüften und zu erfrischen. Die Performances die ich gesehen habe und beschreibe sah ich im Festival Zentrum, DISPO Biel.

Foto: Remy Erismann

Foto: Remy Erismann

Foto: Remy Erismann