KAISER SCHNITT
2022 | HKB | ACT 20th
Text von Judith Huber:
Sie verteilen Ohrenstöpsel, ich ahne, dass es laut wird. Annina, die Moderatorin, sagt, es gehe um Depression. Ich frage mich warum ich das wissen muss. Geräusch aus der Anlage, wie Pfeifen. Körperhaltung ist wichtig, der Performer steht da, präsent, du siehst das Licht am Ende des Tunnels nicht, im Schmerz, im Hass, in Wut. Er geht langsam, trägt den Mikrophonständer mit, schwingt das Mikrophon. Kaiserschnitt. Ich bin ein Wunderkind, kein Licht, kein Tunnel. Atmen, ein-aus, Rädädädädädädädädäm. Für dich gibt es keinen Platz auf dieser Welt. Er steht bei uns im Publikum und schaut dahin, wo er vorher gestanden hat. Die Moderation sagt: Cats have also depression…
Text von Barbara Becker:
Die Performance fand in der Black Box statt. Black Box ist wie der Name vorausschickt ein dunkler Theaterraum. Schaufensterpuppen standen in einer Ecke, und jedes mal, wenn ich den Raum betreten habe, hatte ich die Idee, die Puppen sind die Performance oder zumindest Teil der Performance. Vielleicht warteten die Puppen auf ihren Auftritt, ich weiss es nicht und werde es nicht erfahren, weil ich nicht alle Performances sah. Bei der Performance von Moritz Lienhard waren die Puppen nichts weiter wie Gerümpel, der irgendwo rumsteht, entweder nicht abgeholt oder vergessen wurde. Für Moritz Lienhard stand ein DJ pult und Mikrofon bereit, weitere Materialien nutzte er nicht. Dem Publikum wurde Gehörschutz, Ohrstöpsel verteilt und damit mitgeteilt, es wird laut. Es wurde laut, aber es waren Töne die auf Frequenzen liegen, die bei mir nicht über die Ohren, sondern über den ganzen Körper eindringen. Die Party Standart Ohrstöpsel rutschten mir bald aus den Ohren, und damit verstand ich ein bisschen besser, was Moritz Lienhard sagte. Notiert habe ich, ich glaub es war sein erste Satz: „Du siehst das Ende am Tunnel nicht, weil dies kein Tunnel ist.“ Bevor ich Moritz Lienhard’s Worte aus den überwältigenden Tönen raus zu sortieren hatte, beschäftigte sich der Künstler am Mischpult. Moritz Lienhard erstellte wie ein DJ das Setting in dem aber nicht, - wie bei einer Party wir, - sondern seine Worte schwimmen, untergehen, auftauchen konnten. Das Setting war ein konstantes Pulsieren für’s Leben, Ein- und Unterbrüche, Tonwechsel für das Versagen. „Kein Licht! Kein Tunnel, nur Depression. Kein Platz auf dieser Welt, die Geschichte eines Versagers.“ Natürlich kann die Geschichte eines Versagers eine interessante sein, aber braucht ein Versager so viel Platz? Und warum stellt sich ein Versager auf die Bühne und erwartet, dass wir seine Aufführung gut finden? Kaiserschnitt - ist die Ursache für das Versagen, hab ich das richtig verstanden!? Ich finde: Einen Kaiserschnitt sollten wir als Überlebenschance für einige werdende Mütter und ihre Kinder sehen. Dass heute jedes dritte Kind mit Kaiserschnitt auf die Welt kommt, ist beschämend für die Menschheit. Und mehr wie frustrierend für die werdenden Mütter, die darauf angewiesen sind. Traurig, dass Personalmangel im Gesundheitswesen, dazu führt, dass kommendes Leben heute meist geplant auf unserem Planeten landet. Traurig, dass es „günstiger“ ist eine Operation durchzuführen, wie den natürlichen Weg zu nutzen. Traurig, dass die Angst vor einer natürlichen Geburt, keine andere Versöhnung mit dem Leben findet, wie KEINE natürlichen Geburt. „Moritz, deine Performance hat mich angeregt, die Statistiken von Kaiserschnitten zu studieren, das ist interessant. Aber warum projizierst du das Versagen der zivilisierten Welt auf die Opfer? Ich freue mich, wenn du den Kopf aus dem Sand nimmst und annimmst, dass Widerstand die Chance ist, das Versagen neu zu denken und umzuschreiben.“
Foto: Christian Knörr