Billy Blast
nabbing Cassandra

2022 | HKB | ACT 20th

Text von Judith Huber:

Joggingdressoberteil, pink, Vogelgezwitscher im Raum, wir sind im Chrystal Palace. Die Performerin geht durch den Raum. Langsame Bewegungen, direkter Blick, etwas Schelmisches im Blick, Tatoos am Körper. Sie nimmt mit hölzernen Wäscheklammern bestückte Strümpfe hoch. Das ist ein schönes Objekt in sich selber. Sie zieht diese Strümpfe an. Diese Wäscheklammernanordnungen wirken wie Stacheln, sie sind schwungförmig angeordnet. Der Strumpf wird an der Haut befestigt mit einer Wäscheklammer. An der Bauchhaut. Hautmaterial. Der Blick, ein Lächeln, wie eine Echse. Wäscheklammerreihen: Eine Reihe wird unterhalb der Brustwarzen befestigt, sieht sehr ästhetisch aus, schmerzt beim Anblick. Die Unterarme sind nun voller Wäscheklammern, die Oberarme auch. Wie sich der Körper verändert… Der andere Unterarm, der untere Oberarm. Ein Ausatmen, Einatmen. Ins Publikum schauen. Sie geht ins Publikum, sie sollen auch eine Wäscheklammer platzieren. Das sagt sie nicht, deutet es nur an. Sie bekommt eine Wäscheklammer in die Lippe, den Bauchnabelrand, zwei ins Haar, in die Oberlippe. Halten sie am Rücken? Ja, es geht. Das Ganze hat etwas Schönes, Kraftvolles. Trotzdem ist da die Idee des Schmerzes. Ein paar Wäscheklammern lösen sich von den Strümpfen. Nun beginnt die Performerin eine Wäscheklammer nach der anderen von der Haut zu lösen. Sie lässt sie auf den Boden fallen. Klong, Klong, Klong. Auf der Haut bleibt ein Abdruck, wie eine Narbe. Am Ende nimmt die Performerin einen Tampon aus der Vagina. Er ist ein wenig mit Blut beschmiert. Zum Schluss sieht das Gesicht der Performerin verletzt aus. Zuvor war mir das nicht aufgefallen.

Text Barbara Becker:

Billy, deinen Titel, der mich ähnlich ratlos lässt wie „20.95%“ und ähnlich von der Handlung entfernt und in Recherchen vertieft wie „Kaiserschnitt“, - möchte ich einfach stehen lassen. Ich schreibe, was ich gesehen habe, und was mir dazu eingefallen ist. Die Performance fand im Chrystal Palace statt. Ein Raum im Raum. Ein Glashaus, in das man von aussen rein sieht und von innen raus. Billy Blast erwartete uns im Raum stehend, in einem hellen einteiligen Anzug. Ich erinnere mich an einen Sportanzug, oder war es ein Schutzanzug wie man ihn im Einsatz bei besonders ansteckenden Krankheiten oder zum Putzen in Räumen mit giftigen Stoffen trägt? Ob ein Anzug für Sport, Hygiene-, oder Gifteinsatz, spür- und sichtbar war, dass der Anzug eine Schutzfunktion hatte. Klar sichtbar spätestens in dem Moment, als die Zuschauer Platz genommen hatten, die Türe vom Chrystal Palace geschlossen wurde, und Billy den Anzug auszog. Unter dem Anzug tauchte ein zierlicher, nackter Frauenkörper auf. Ich erinnere mich an Tätowierungen. Ich erinnere mich an ihre zierliche Brust. Ich erinnere mich nicht an Schamhaare oder rasierte Scham. Ich erinnere mich an ihren nackten Po. Billy schien mir unsicher, innerlich zitternd und doch entschieden. Hinter der Unsicherheit, spürte ich eine Lust, nackt zu sein. Ganz nackt war Billy nur sehr kurz, sie zog sich eine Seidenstrumpfhose an, an der Wäscheklammern aufgereiht waren von der Hüfte bis zu den Füssen. Mit der Wäscheklammer Seidenstrumpfhose präsentierte sie sich. Mit gestreckten Armen bewegte sie sich ein paar Schritte durch den Raum und liess wie einen Teil vom inneren Zittern ausfliessen. Die Klammern klapperten leicht. Musik begleitete und hielt sie sanft. Ich erinnere mich an Musik, die ich aus den heissen Tropen kenne. Nach diesen Schritten, die im Ansatz von einem Tanz im Raum standen, nahm Billy Blast weitere Wäscheklammern zur Hand und befestigte sie an ihrem nackten Körper. Sie fasste ihre Haut und steckte die Klammern an die Haut. Die Haut hielt nicht mehr prall und knackig ihren Körper, sondern schien zu viel und überflüssig. „Macht das weh!? Warum fügst du dir selbst Schmerzen zu?“ In einem weiteren Teil, kam Billy Blast auf das Publikum zu und bot uns Wäscheklammern an. Der eine steckte sich die Klammer selbst an den Körper, andere fassten Billy Blast’s Haut und steckten die Klammer ran. Billy Blast lächelte! Ein Mann nahm die Klammer und warf sie energisch weg. Ich war nicht von Anfang sicher, ob die Klammern am Körper schmerzten. Doch als Billy Blast die Klammern entfernte, zeigte die Haut, tiefe Spuren. Als alle Klammern entfernt waren, entfernte Billy auch noch den Tampon aus ihrer Vagina, er war blutrot. Das Antun der Schmerzen schien mit Lust und Loslassen verbunden. Ich sah Schmerzen, die verborgene Angst befreiten. Ich sah eine Träne in Billy Blast’s Augen. Ich sah die Träne, wie Tränen einer Trauer, die verbal nicht fassbar ist. Und der Schmerz - ist die Rutschbahn zurück in die Realität!?

Foto: Christian Knörr

Foto: Christian Knörr