No title
2022 | HGK FHNW | ACT 20th
Text von Pascale Grau
Die Künstler*in ist schwer zu finden, schlussendlich entdecke ich sie auf einem privaten Bootsgelände auf einem Steg, der in den See ragt. Eine Drehvorrichtung mit zwei orangenfarbenen Schalenstühlen ist der Ort der Begegnung zwischen der Performer*in und ihren potentiellen Gästen. Sie macht eine einladende Geste und jetzt darf ich bei ihr sitzen. Sie sitzt da mit zerzausten Haaren, durchlöchertem Kleid und Schwimmflossen. Damit erinnert sie mich an eine Seejungfrau. Nun dreht sie die Stühle so, dass meine Beine über dem Wasser baumeln. Ich könne mich entspannen und wohl fühlen, die Zeit einfach verbringen, indem ich übers Wasser schaue. Eigentlich hätte sie mir die vorbereitete Geschichte nicht erzählt, wenn ich sie nicht auf ihr Meerjungfrauenkostüm angesprochen hätte. Damit reagiere sie auf meinen Wunsch. Sie bietet mir einen hellblauen Drink an. Die Geschichte entspringt einer nordischen Sage, wonach ein Fischer seine Tochter auf dem Meer aussetzen und töten wollte und weil sie sich wehrte und an der Reling festhielt, schnitt er ihr die Finger ab, sodass sie im Meer verschwand. Anstatt zu sterben verbündete sie sich mit den Fischen, die sich in ihrem Haar versteckten. Ohne Finger konnte sie sich die Haare nicht mehr kämmen, sodass die Fischer fortan ohne Fang nach Hause zurückkehrten. Nur bei gewissem Wetter, glättet sich das Wasser und somit das Haar, sodass die Fische ins Netz gehen können. Im Anschluss an die Geschichte faltet die Künstler*in aus weissem Vlies einen kleinen Vogel und legt ihn in eine Glas Wasser. Dort zergeht er, wie eine Hostie auf der Zunge. Sie fragt mich nach meinen Gefühlen und Gedanken. Ich erzähle ihr, dass ich auf dem Hinweg ein kleines, noch nacktes Vögelchen auf dem Boden fand, das wohl aus dem Nest gefallen war. Beide Vögel würden nie fliegen können, das fände ich in diesem Moment gerade traurig. Selbst überrascht so viel preisgegeben zu haben und weil einige Leute auf das Beisammensein mit der Performer*in warten, signalisiere ich, dass ich gehen möchte. Beim Weggehen lässt mich diese esoterisch anmutende Dienstleistungsperformance an eine psychologische Sitzung oder an einen Termin im Beautysalon denken.
Fotos: Sebastian Lendenmann
Fotos: Sebastian Lendenmann