Pelotes d’histoires entretissées
2022 | HKB | ACT 20th
Text von Judith Huber:
Wir sitzen auf den grünen Sofas. Alle beieinander, alle um die Performerin herum. Die Performerin häkelt etwas rundes, sie erzählt dazu. Ich erkenne ein Gefäss mit tiefem Rand, alles gehäkelt. Das Garn hat verschiedene Farben: violett, orange, gelb, blau, … Sie erzählt Geschichten von ihrer Grossmutter. Auf französisch. Ich verstehe nicht alles, aber ich höre gerne zu. Ich schaue ihr gerne zu. Wie sie da sitzt, erzählt und irgendwann das Gehäkelte langsam beginnt wieder aufzutrennen. Beim Ziehen am Garn gibt es immer bei einer bestimmten Stelle des Auftrennens ein kurzes Stocken. Einem Häkelwerk zuschauen, das aufgemacht wird ist sehr schön. Hat etwas Beruhigendes. Läuft die Zeit dann rückwärts? Marlise, Maman, Grandmère, Arthrose, Rheuma, répétition de l’histoire. Der Knäuel wird grösser und grösser, das Häkelwerk kleiner. Der Titel, «Gepflegte Geschichtsknäuel», gefällt mir wahnsinnig gut.
Text von Barbara Becker:
Maurine Stoudmann sass häkelnd neben dem Chrystal Palace auf einem Sofa, mit dem Rücken zum Chrystal Palace. Um das Sofa bildete sich eine Sitzgruppe aus Sesseln und weiteren Sofas. In den Tagen vom Festival war dieser Ort, die Pausenecke. Und Maurine Stoudmann war für mich die erholsamste Pause, aus der ich nie mehr aussteigen wollte. Pause von den flutenden Eindrücken, Pause von den komplexen Shows. Für mich Pause von Inhalten, die mein Hirn peitschten und marterten. Pause ergab sich aus meinem Nichtverstehen. Leider sind meine Französischkenntnisse immer noch sehr überschaubar und wenig hilfreich komplexe Zusammenhänge zu fassen. Der Erzählfluss der jungen Künstlerin berührte mich wie eine sanfte Melodie, bettete mich in Zusammenhänge von denen ich keine Ahnung hatte, welche es waren. Ihre Stimme hielt mich wach und friedlich geborgen. Bald sass ich in einem Seelenfrieden da, und hatte nur einen Gedanken! „Maurine, ich will dich heiraten!“ Schade / gut - ich weiss es nicht,- habe ich nichts verstanden. Ich habe nichts verstanden. Und trotzdem wünsche ich mir Maurine Stoudmann an jeder Ecke, nicht nur in der Pausenecke. Ich wünsche mir, Maurine Stoudmann häkelnd im Keller. Ich wünsche mir, Maurine Stoudmann häkelnd auf jeder Bühne! Ich wünsche mir, Maurine Stoudmann häkelnd in jedem Haus und auf jeder Strasse. Und bin sicher, wenn Maurine Stoudmann häkelnd da ist, werden wir den Frieden spüren. Frieden der uns alle fasst, aber den wir nicht hören, weil wir so viel zu verstehen haben, weil wir so viel zu sehen haben und weil wir keine Pausen finden. „DANKE Maurine, deine Performance war mir ein besonderes Erlebnis!“
Foto: Christian Knörr